Der International Tracing Service (ITS) hat am 7. Oktober 2015 sein neues Online-Archiv mit digitalisierten Dokumenten über die NS-Verfolgung freigeschaltet. Im Archiv des Dokumentations-, Informations- und Forschungszentrums werden Bestände zur NS-Verfolgung, Zwangsarbeit und zum Holocaust aufbewahrt. Etwa 30 Millionen Dokumente sind beim ITS in Bad Arolsen archiviert und werden für Forschungs-und Bildungszwecke sowie zur Beantwortung von Anfragen Überlebender und Nachkommen der Opfer genutzt. Schicksale von Millionen Opfern der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft sind im ITS-Archiv dokumentiert. Eine der zentralen Aufgaben des ITS besteht darin, die Dokumente des Archivs einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ein großer Teil der Archivbestände wird aus konservatorischen Gründen im institutseigenen Digitalisierungszentrum bereits seit dem Jahr 1998 digitalisiert. Im Sommer 2014 wurde vom Internationalen Ausschuss des ITS mit Vertretern aus elf Mitgliedstaaten entschieden, ab 2015 mit der Onlinestellung von Dokumenten im Open Access zu beginnen.
Freie Nutzung für Forschung, Bildung, Betroffene und Angehörige
Drei Teilbestände des ITS zum Verlauf der Todesmärsche und Opfer, zum Kindersuchdienst der Westalliierten aus den Nachkriegsjahren sowie eine Effektensammlung mit Fotografien von etwa 2.800 persönlichen Gegenständen, die Häftlingen der Naziherrschaft bei der Aufnahme in die Konzentrationslager entwendet wurden, stehen nun Betroffenen, deren Nachkommen, Wissenschaftlern und Genealogen unter der Portaladresse http://digitalcollections.its-arolsen.org für Nachforschungen und Recherchen kostenfrei im Netz zur Verfügung. Neben inhaltlich-thematischen und datenschutzrechtlichen Kriterien, waren die wissenschaftliche Aufbereitung, die Erschließungstiefe und das Datenvolumen Hauptkriterien für die Auswahl der drei Teilbestände im Rahmen des Pilotprojektes. Bei den nun im Internet veröffentlichten Materialien handelt es sich zunächst um einen Ausschnitt von ca. 50.000 Digitalisaten aus dem umfangreichen ITS-Archivbestand. Die digitalen Sammlungen des ITS sollen in Nachfolgeprojekten in den kommenden Jahren um zusätzliche Bestandssegmente erweitert und im Online-Portal in strukturell aufbereiteter Form veröffentlicht werden.
Visual Library als Präsentations- und Erschließungsplattform
Technisch realisiert wurde das Webportal in einer nur viermonatigen Umsetzungsphase auf Basis der Systemplattform Visual Library der beiden Kooperationsfirmen semantics und Walter Nagel. Dem Projektvorhaben ging eine längere Evaluierungsphase und ein Ausschreibungsverfahren durch den ITS voraus. Visual Library verfügte nach eingehender Marktsichtung als einziges System über alle in der Leistungsbeschreibung des ITS spezifizierten Funktionen zur Metadatenverwaltung, Tiefenerschließung und Webpräsentation. Die Organisation des Metadatentransfers aus dem OUS-Archivsystem zum Import in Visual-Library stellte dabei eine Grundvoraussetzung zur optimalen Datenaufbereitung im Portal dar.
Recherche, Navigation und Rechtemanagement im ITS-Portal
Diverse Recherche- und Browsing-Funktionalitäten wie Listen, Clouds und Facettierungen bieten intuitive Sucheinstiege und komfortable Navigationsmöglichkeiten. Filterfunktionen nach den Anfangsbuchstaben genannter Personen, nach geographischen Angaben sowie nach Zeiträumen bieten vielfältige Zugriffsoptionen auf die digitalen Objekte. Die vom ITS ausgewählten Teilbestände werden im Webportal analog zur physikalischen Ordnung im ITS-Archiv abgebildet. Die in Visual Library integrierten Rechtemanagementfunktionen ermöglichen sowohl den öffentlichen Zugriff auf gemeinfreie, digitale Bestände des ITS, als auch eine restriktive Bereitstellung urheberrechts- bzw. persönlichkeitsrechtsbehafteter Materialien im ITS-Intranet.
Georeferenzierung über interaktive Karten
Aus der historisch begründeten uneinheitlichen Erschließung und Herkunft der drei Teilbestände, ergeben sich im Portal unterschiedliche Bestandsdarstellungen und Recherchekriterien. Eine Besonderheit stellt die interaktive Kartendarstellung für den Bestand der Todesmärsche dar. Die Dokumente beinhalten Informationen und Ermittlungsbögen über die Marschverläufe, Augenzeugenberichte und Lagepläne von Grabstellen namentlich bekannter und unbekannter Opfer. Die Metadaten der Dokumente sind mit Koordinaten aus geonames.org angereichert, wodurch eine Georeferenzierung der Materialien unterstützt wird. Eine besondere Schwierigkeit stellte bei der Implementierung die Abbildung historischer Verwaltungsstrukturen auf die heutige geographische Aufteilung der Gebietskörperschaften dar. Den Portalnutzern wird damit ergänzend zur Recherche über das Ortsregister eine weitere Sucheinstiegsmöglichkeit für den Zugriff auf die Dokumente nach Regionen und Orten über virtuelle Landkarten angeboten.
Rückgabe von Effekten an Nachkommen der KZ-Häftlinge
Mit der Online-Stellung der Effektensammlung, deren Objekte als weltweit einzige dieser Art mit den Namen der Häftlinge verknüpft sind, soll dazu beitragen werden, dass die Rückgabe der durch die Lagerverwaltungen konfiszierten Gegenstände an Angehörige der KZ-Häftlinge und auch die Ermittlung von Nachfahren erleichtert wird. Neben der Suche nach Namen wird auch die Recherche nach Geburtsdaten der Inhaftierten ermöglicht.
Kindersuchdienst zur Identitätsermittlung und zur Familienzusammenführung
Der dritte nun online verfügbare Teilbestand im ITS-Portal beinhaltet Akten des Kindersuchdienstes (Child Search Branch), der sich in den Nachkriegsjahren um das Schicksal vermisster und unbegleiteter Kinder bemühte. Zielsetzung des Kindersuchdienstes war es, die Identität und Staatsangehörigkeit überlebender Kinder aus Konzentrations- und Vernichtungslagern, zur Zwangsarbeit verschleppter Minderjähriger und Kindern von Zwangsarbeiterinnen zu ermitteln und Kontakte zu den Familienangehörigen herzustellen.
Förderung des wissenschaftlichen Austausches über die Kommentarfunktion
Mit der Online-Veröffentlichung seiner ausgewählten Bestände möchte der ITS den fachlichen Austausch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fördern.
Eine in Visual Library neu integrierte Kommentarfunktion bietet den Portalnutzern nach Authentifizierung die Möglichkeit, mit dem ITS in Kontakt zu treten und zusätzliche Erschließungsinformationen und Anmerkungen zu den digitalen Objekten und deren Metadaten im Portal zu ergänzen. Die Kommentierungen werden von ITS-Mitarbeitern moderiert und vor der Anzeige redaktionell überprüft.
Weltweites Interesse an den digitalen ITS-Beständen
Das weltweit außerordentlich hohe Interesse am nun digital verfügbaren Archivbestand des ITS, der in Teilen zum UNESCO-Weltdokumentenerbe „Memory of the World“ gehört, wird durch über eine halbe Millionen Einzelseitenaufrufe in den ersten 12 Stunden nach der Portalfreischaltung eindrucksvoll belegt. Die digitale Veröffentlichung der Archivalien im neuen Online-Portal wird fortan dazu beitragen, den Blick auf die Arbeit des ITS und sein wertvolles Archiv über die Opfer des Holocausts und der NS-Verfolgung zu lenken.
Fazit und weitere Projektperspektive
Mit Visual Library wird eine schnelle und ressourcensparende Verarbeitung und verzugsfreie Präsentation der digitalisierten Materialien des ITS erreicht. Aufgrund des internationalen Nutzerkreises sind die Sammlungsbeschreibungen des Portals in drei Sprachen verfügbar und im Corporate Design des International Tracing Service gestaltet. Mit der Produktlinie Visual Library der semantics Kommunikationsmanagement GmbH bietet die Walter Nagel GmbH eine Digitalisierungslösung an, die die Anforderungen des International Tracing Service in vollem Umfang erfüllt, die weltweite Zugänglichkeit der ITS-Dokumente sicherstellt und darüber hinaus zusätzliche Funktionalitäten für die Umsetzung künftiger Digitalisierungsvorhaben beim International Tracing Service auf einer Plattform ermöglicht.